Jule war 2019 – 2020 für ein Semester Teilnehmerin des Kanada Public Programms bei iE- international EXPERIENCE e.V. und hat in einer kanadischen Gastfamilie gelebt. In diesem Beitrag teilt sie einen Erfahrungsbericht über ihren Schüleraustausch in Kanada und erzählt, was sie erlebt und von ihrer Zeit im Ausland mitgenommen hat.
Kanada – das Land der Tausend Seen, der Menschen, die sich selbst fürs Entschuldigen entschuldigen, das Land der Bären, von Timbits und Eishockey. Und das Land, das mir mit vierzehn das Herz gestohlen und es nie wieder losgelassen hat.
Der Abschied in Deutschland
Ich erinnere mich noch jetzt, knapp viereinhalb Jahre später, wie aufgeregt ich war, als ich mich am 01.09.2019 am Flughafen von meiner Familie verabschiedete. Die ganze Nacht hatte ich schon schlecht geschlafen und mit jeder Minute, die auf der zweistündigen Autofahrt nach Frankfurt verging, wurde mir immer gewisser: ich werde meine Familie erst in fünf Monaten wiedersehen. Ich konnte – nein – ich wollte es mir nicht wirklich vorstellen. In dem Moment fragte ich mich (nicht zum ersten Mal): „was mache ich hier eigentlich? Bin ich völlig verrückt geworden, mit vierzehn in ein komplett fremdes Land zu reisen, in einer fremden Familie zu leben, auf eine typische High School zu gehen und tagtäglich eine Sprache zu sprechen, die ich bisher nur in der Schule gelernt habe?„
Aber dann waren wir am Flughafen, wo ich mich direkt mit einer Freundin getroffen habe, die ich auf dem iE-Vorbereitungsseminar kennengelernt habe. Irgendwie schafften wir es, unsere Koffer (meiner hatte ganze zehn Kilo Übergewicht, upsi) abzugeben. Und dann war es auch schon Zeit zum Verabschieden. Zu dem Zeitpunkt dachte ich, es wäre das Schwerste, was ich jemals tun müsste – mich für ein halbes Jahr von meiner Familie und von Deutschland zu verabschieden. Mittlerweile weiß ich, dass der Abschied aus Kanada dutzende Male schlimmer war.
Der Gruppenflug nach Kanada
Ich war froh über die Gruppe Jugendlichen, die mit Lina und mir nach Vancouver flogen. Man erkannte sie sofort: Jugendliche, die mit Winterschuhen, die nicht mehr in die riesigen Koffer gepasst hatten, Rucksäcken und verquollenen Augen etwas verloren in der Gegend rumstanden. Sie waren genau wie ich.
Es tat gut, sich mit anderen Jugendlichen zu unterhalten und zu wissen, dass man nicht alleine war. Nachdem wir uns zu Genüge darüber unterhalten hatten, dass man selbst auf Vancouver Island, dem wärmsten Teil Kanadas, wohl keine fünf kurzen Hosen braucht (hmm, das erklärte vielleicht das Übergewicht meines Koffers…) ging es auch schon los.
Der erste Flug, neun Stunden nach Vancouver, verging schnell. Die halbe Zeit weinte ich, weil ich mein Abschiedsbuch las, in dem meine Freunde und Familie viel zu süße Texte geschrieben hatten. Die restliche Zeit schaute ich die coolen Filme, die es im Flugzeug gab. In Vancouver angekommen kümmerten wir uns um unsere Visa und schafften es gerade noch rechtzeitig zu unserem Anschlussflug nach Nanaimo, Vancouver Island.
Die Ankunft & Begrüßung meiner Gastfamilie
Der Flughafen dort war in etwa genau so groß wie das Flugzeug, also winzig. Ich erinnere mich noch, wie Lina und ich mit vor Nervosität wackligen Beinen aus dem zweiten Flugzeug stiegen. Wir versuchten, uns seelisch darauf vorzubereiten, jetzt unsere Koffer einzusammeln und dann unsere Gastfamilien zu sehen – nur, um meine Gasteltern dann schon durch die Glastüren zu entdecken. Der Flughafen war so klein, dass unsere Gasteltern schon bei der Gepäckausgabe warten konnten. Und so hatte ich keine Gelegenheit, mir erst die richtigen Worte zu überlegen, bevor mich meine Gasteltern in die Arme schlossen und begrüßten. Aber vielleicht war das auch genau gut so, denn was sollte man in so einem Moment auch sagen?
Es dauerte nicht lange, bis alle ihre Koffer hatten und sich voneinander verabschiedeten. Und dann ging es auch schon los, in den Pickup meines Gastvaters (mein Vater wäre begeistert gewesen von dem Auto) und ab in mein neues Zuhause.
Auf der Fahrt redeten wir viel. Meine Gasteltern, Brad und Georgie, zeigten mir bereits ein wenig der Umgebung, sagten, was wir die nächsten Monate alles unternehmen könnten, und die Natur war bereits auf der Fahrt so unglaublich schön. Ich hatte die ganze Zeit ein Grinsen auf dem Gesicht. Vielleicht ist es doch richtig, dass ich jetzt hier bin, dachte ich.
Mein neues Zuhause
Wir kamen in Duncan an, wo ich die nächsten Monate leben sollte. Es war seltsam, mein neues Zuhause zum ersten Mal zu sehen, denn es war so anders als unser Haus in Deutschland. Alles war kleiner, vollgestellter, irgendwie bunter, aber es hatte etwas heimisches. Während ich begann, meinen Koffer auszupacken und es mir in meinem neuen Zimmer irgendwie gemütlich zu machen, kochten meine Gasteltern. Auch beim Abendessen redeten wir viel und ich weiß noch, wie geehrt ich mich gefühlt habe, als sie sagten, wie gut mein Englisch doch schon sei (auch, wenn ich das Gefühl am Anfang nicht unbedingt hatte). Dann ging ich zum ersten Mal in Kanada schlafen.
Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Wir gingen in ein Forest Museum, wo wir mit einer alten Dampflock fahren konnten, schwammen im Meer und es gab einen Orientation Day für alle Austauschschüler:innen an der Schule, an dem ich direkt ein paar nette Leute kennenlernte. Eine Deutsche war sogar eine Nachbarin von mir und mit ihr ging ich immer zusammen zur Schule.
Natürlich gibt es auch mal Missverständnisse
Im Nachhinein besonders witzig war der erste Abend, an dem wir bei meinen „Gastgroßeltern“ zu Besuch waren, die in einem wunderschönen Haus umgeben von Wald und Weinbergen etwas außerhalb von Duncan lebten. Es war ja immer noch Sommer, und meine Gastgroßmutter bot mir ein sogenanntes Rootbeer-Eis an. Ich erinnere mich noch, wie schlecht ich mich gefühlt hatte, es zu essen, aber mich auch nicht getraut hatte, nein zu sagen. Damals wusste ich noch nicht, dass Root Beer gar kein Bier, sondern ein einfacher (zugegeben, meiner Meinung nach ziemlich ekliger) Softdrink war. Aber in dem Moment dachte ich schon, meine Gastfamilie möge mich nicht, da ich ja wusste, dass ich im Auslandsjahr auf keinen Fall Alkohol konsumieren durfte, da ich sonst nach Hause geschickt werden könnte. Wollten sie mich etwa so schnell schon loswerden?
Familienleben und gemeinsame Aktivitäten
Über die nächsten Wochen und Monate allerdings lernte ich meine Gastfamilie sehr zu schätzen. Mit Brad unternahm ich sehr viele Wanderungen und andere Abenteuer, zum Beispiel zu einem meiner Lieblingsplätze in Kanada, Mount Prevost, wo man eine einmalige Aussicht bis nach Washington, USA hat. Wir machten Bootstouren, fuhren zum Meer oder einfach in der Gegend rum, wo er mir allerlei schöne Orte zeigte. Irgendwann fingen wir an, abends häufig Kartenspiele zu spielen und uns über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Kanada und Deutschland zu unterhalten.
Georgie nahm mich immer wieder mit zu ihren Chor- oder Theaterproben. Wir kochten zusammen, unternahmen viel, besuchten Familie und Freunde meiner Gasteltern und redeten noch mehr. Es dauerte nicht lange, bis ich mich richtig, richtig wohl fühlte. Selbst meine Freunde kamen immer am liebsten zu mir; meine Gastfamilie hatte einfach offene Arme für alle.
Wir unternahmen auch viele größere Ausflüge, beispielsweise nach Vancouver, um das Musical meiner Gastschwester, die dort Schauspiel studierte, anzuschauen oder über die Weihnachtsferien zu Familie und Freunden meiner Gasteltern auf dem Festland (ein definitives Highlight meiner Reise!).
Schule in Kanada
Auch meine Schulzeit war ziemlich aufregend. Ich hatte die ganzen fünf Monate die gleichen Fächer: Spoken Language (eine Mischung aus Englisch, Geschichte, Politik und Berufsfindung), Visual Arts (Kunstunterricht; wir haben gemalt, gezeichnet und getöpfert), Skills Exploration (Eine Mischung aus Metallarbeit und Mechanik; wir haben dort beispielsweise eine Pfeife oder einen Handyhalter gebaut, aber am Ende auch einen Motor auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Am Anfang mochte ich es nicht so sehr, aber letztendlich war es doch recht spannend) und Mathe, was ich zum Glück relativ schnell zu Rock Climbing (Klettern) ändern konnte.
Es wurde zwar irgendwann etwas monoton, jeden Tag die gleichen (recht einfachen) vier Kurse zu haben, aber besonders mein Kletterkurs hat das immer wieder wettgemacht. Auch gab es viele außerschulische Dinge wie den Chor, wo ich freitags während der „Lernzeit“ mitgemacht habe, einem „Board Game-Club“ und verschiedenen Sportprogrammen. Hier habe ich im November mit Rugby angefangen, was mir super viel Spaß gemacht hat. Es war so cool, immer wieder neue Dinge ausprobieren zu können, obwohl man sich natürlich immer wieder dafür überwinden musste. Aber dafür ist ein Auslandsjahr auch da, nicht wahr?
Freundschaften schließen
Ich habe in der Schule und auf den regelmäßigen Internationals-Treffen sehr viele nette Leute getroffen. Der Großteil meiner Freunde bestand tatsächlich aus deutschen Austauschschülern, mit denen ich aber größtenteils Englisch gesprochen habe. Es hat uns irgendwie verbunden, dass wir alle im gleichen Boot saßen, alle Freunde brauchten und alle eine tolle Zeit haben wollten. Ich muss zugeben, dass es nicht so leicht war, sich mit den Kanadiern anzufreunden. Man hatte zwar vielleicht in der Schule viel Kontakt, aber ich glaube vielen der Kanadier war einfach bewusst, dass wir Austauschschüler kommen und gehen. Das macht eine Freundschaft schließen natürlich schwerer. Außerdem ist Vancouver Island sehr beliebt bei Austauschschülern, was dieses „Problem“ nochmal verstärkt. Dafür habe ich unter den anderen Internationals umso bessere Freunde gefunden und besonders zwei zähle ich noch heute zu meinen besten Freunden.
Time flies…
Die Zeit verging wie im Flug. Ich unternahm so viele tolle Dinge: Bootsfahrten, ein Trip zum Cirque de Soleil, Klettern, Wanderungen, Rugby, Kino, Eishockeyspiele. Ich hatte Geburtstag, feierte Halloween, Thanksgiving und Weihnachten. Am 1.1. machten meine Freunde und ich mit meinem Gastvater beim Polar Bear Swim mit, wo wir zusammen mit dutzenden anderen Menschen ins Meer rannten, kurz untertauchten und wieder rausliefen. Es war eisig, aber hat unglaublich viel Spaß gemacht. Brad schaffte es sogar auf die Titelseite der Zeitung!
Meine Gastfamilie wurde schnell zu meiner zweiten Familie; wir haben bis heute noch Kontakt und haben uns auch seit meiner Abreise zweimal sehen können.
Das Ende kam viel zu schnell. Wie viel hätte ich dafür gegeben, doch noch für das restliche Jahr bleiben zu können. An meinem letzten richtigen Tag in Kanada ging ich mit meinen beiden besten Freundinnen bei A&W (einer Art besseren McDonalds) Essen, dann hatten wir ein letztes Rugby-Training und gingen dann zu mir nach Hause, wo wir Pizza bestellten, Schokofondue machten und bis tief in die Nacht redeten.
Der Abschied in Kanada
Der nächste Tag war hart – einer der härtesten meines Lebens. Ich war froh, dass meine beiden Freunde mit zum Flughafen kamen, von dem ich wieder mit Lina zurückflog; so fühlte ich mich nicht ganz so allein.
Viel zu schnell kam der letztendliche Abschied. Ich wusste nicht, wie hart es sein konnte, sich einfach umzudrehen und zu gehen, sein gesamtes neues Leben hinter sich zu lassen – denn genau das war es gewesen. Es gibt einen Spruch: „Exchange is not a year in life, it’s a life in a year.“ Ich könnte es nicht besser sagen. Mein Auslandsjahr mag zwar nur knappe fünf Monate lang gewesen sein, aber ich hatte ein ganzes Leben in Kanada – eine tolle Gastfamilie, Freunde, Hobbys, alles. Und das musste ich jetzt hinter mir lassen, wohl wissend, dass ich nie wieder in dieses Leben zurückkehren würde. Es war unfassbar hart, doch irgendwie habe ich es geschafft.
Die Erinnerungen bleiben für immer
Das Ganze ist jetzt schon mehr als vier Jahre her – dieses Jahr werden es fünf sein. Doch noch immer vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht zurück an Kanada denke. Es war definitiv die prägendste und in vielerlei Hinsicht tollste Zeit meines Lebens. Ich kann jeden nur dazu aufrufen, den Schritt zu gehen. Ja, der Anfang mag hart sein – man muss sich an die neue Kultur, die neue Familie und Sprache gewöhnen, vermisst vielleicht seine Heimat und, ganz besonders, die Gemütlichkeit der Gewohnheit. Zuhause weiß man, wie alles abläuft. Aber hat man sich einmal eingelebt, möchte man gar nicht mehr weg.
Ich habe in den Monaten sehr viel gelernt: mit vierzehn musste ich bereits auf eigenen Beinen stehen, habe mich alleine in einem fremden Land zurechtgefunden und Hürden überwunden, die sich viele andere in meinem Alter nicht einmal vorstellen konnten. Außerdem bin ich selbstständiger und selbstbewusster geworden, spreche fließend Englisch und habe – ganz wichtig – viele tolle Erinnerungen an dieses Abenteuer. Ich werde es nie wieder vergessen, und ich glaube, ein kleiner Teil von mir wird für immer bei diesem Land bleiben, mit seinen freundlichen Menschen, seiner atemberaubenden Natur und seiner generellen Schönheit. Mein Gott, ich beneide jeden, der dieses Abenteuer noch vor sich hat! <3
Falls ihr noch ein wenig detaillierter lesen möchtet, was ich in meinem Auslandsjahr alles erlebt habe, könnt ihr gerne auch mal bei meinem Blog reinschauen, den ich während der Zeit geschrieben habe: Klicke hier. Ich freue mich auf euch und wünsche den zukünftigen Austauschschülern schon jetzt alles erdenklich Gute. Ihr schafft das. Glaubt an euch. Tretet aus eurer Komfortzone heraus und traut euch Dinge! Ihr werdet es nicht bereuen.
Eure Jule
Schüleraustausch in Kanada
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